Internationalistischer Block von Defend Kurdistan Kiel auf der „United for Iran!“-Demonstration
Samstag, 28. Januar 2023 | 13 Uhr | Hauptbahnhof | Kiel
Vor vier Monaten, am 16. September 2022, wurde die 22-jährige Kurdin Jina (Mahsa) Amini Opfer eines staatlichen Femizids im Iran: Weil sie ihr Kopftuch nicht wie vorgeschrieben trug, wurde sie von der „Sittenpolizei“ des theokratischen Regimes in Teheran zu Tode geprügelt. Ausgehend von Rojhilat (Ostkurdistan), den kurdischen Provinzen des Irans und Heimat Jinas, entfachte sich binnen weniger Tage ein von Frauen angeführter landesweiter Aufstand, der sich gegen den Hijab-Zwang und die systematische Unterdrückung von Frauen durch die Mullah-Diktatur richtete. Frauen zerrissen ihre Kopftücher und griffen Vertreter des Regimes an. Als zentrale Parole des Aufstands etablierte sich nicht zufällig das programmatische „Frauen, Leben, Freiheit!“ („Jin, Jiyan, Azadi!“) der kurdischen Befreiungsbewegung und der Rojava-Revolution in Nord-Ost-Syrien.
Die Aufstandsbewegung blieb jedoch weder regional noch thematisch beschränkt, sondern erfasste fast alle Provinzen der „Islamischen Republik“. Es beteiligten sich neben den Kurd*innen sämtliche Bevölkerungsgruppen wie Perser*innen, Belutsch*innen, Araber*innen und Türk*innen. Die Bewegung mündete in landesweiten Generalstreiks, die das Land im Dezember für mehrere Tage lahmlegten. Es waren die größten Streiks in der Geschichte des Irans, deren Fundament die Arbeiter*innen der Ölindustrie waren, dem wichtigsten Industriezweig des Irans. Die Wut und der Kampfeswille der oft spontanen Massenversammlungen richtet sich nach 43 Jahren brutaler Unterdrückung und Ausbeutung mittlerweile gegen das gesamte Regime und seine Institutionen, die Forderung nach einer säkularen Demokratie und “Arbeit, Brot, Freiheit” sind allgegenwärtig. Die Antwort des Staates waren Massenverhaftungen, brutale, teils tödliche Gewalt gegen die Protestierenden sowie Hinrichtungen von Beteiligten. Mehr als 500 Menschen starben während der Kämpfe, über 19000 Menschen sitzen in den Knästen und sind teilweise von der Todesstrafe bedroht.
In Anbetracht der massiven Staatsgewalt ist die Revolte derzeit zwar etwas abgeflaut, allerorts brodelt es jedoch weiter. Der Ungehorsam, wie die Verweigerung des Kopftuchs, ist mittlerweile zur Alltagspraxis geworden und zuletzt entstanden vielerorts Nachbarschaftsallianzen als neues organisatorisches Fundament der Opposition. Der Hass auf den klerikalen Staat, seine Frauenverachtung und das neoliberale Verarmungssystem ist ungebrochen und das Wiederaufflammen der Kämpfe bis zum Sturz der Diktatur für das Gros der Beteiligten nur eine Frage der Zeit.
43 Jahre islamistische Konterrevolution und Widerstand
1979 wurde die einst mit tatkräftiger Unterstützung der USA und Großbritannien an die Macht geputschte und gestützte Monarchie von Reza Pahlavi im Iran durch eine von den proletarischen Massen getragene Revolution gestürzt. Eine vielschichtige Oppositionsbewegung besiegte mit Streiks, Massendemonstrationen, Straßenkämpfen und Guerillaaktionen die autoritäre Folterherrschaft des Schah. Revolutionäre Linke hatten an den Kämpfen entscheidenden Anteil und bildeten neben liberalen und reaktionären Kräften eine starke Fraktion innerhalb der Bewegung. Was auf den Sturz des Schahs folgen würde, war zunächst unausgemacht. Schlussendlich konnten jedoch die fundamentalistisch-religiösen Kräfte um Ruhollah Khomeini die Revolution gewaltsam unter ihre Kontrolle bringen und ihre „Islamische Republik“ errichten. Wie so viele Islamisten war Khomeini zuvor zunächst als Bollwerk gegen eine drohende sozialistische Entwicklung im Iran hofiert worden. Es folgte die Ausschaltung jeglicher konkurrierender politischer Kräfte und die Errichtung einer klerikalen, zutiefst patriarchalen Diktatur, die auf einer religiösen Klassenherrschaft der Mullahs, Ausbeutung, Repression und Krieg aufbaut und zum Impulsgeber des reaktionären Islamismus weit über den Iran hinaus wurde. Viele linke und säkulare Revolutionär*innen sowie Anhänger*innen der Schah-Herrschaft flohen ins Exil.
Sein von der Linken entwendetes Versprechen nach einer Verbesserung der Lebenssituation der verarmten Bevölkerungsmassen, die so teilweise zu seinen Unterstützer*innen geworden waren, hielt Khomei nicht. Im Gegenteil wendete sich die „Islamische Republik“ insbesondere nach Khomeinis Tod 1989 trotz antiimperialistischer Rhetorik zunehmend dem neoliberalen Kapitalismus zu, stieg zur Regionalmacht im Mittleren Osten auf und zementierte damit Armut und Ausbeutung. Die Klassenwidersprüche blieben erhalten und beflügelten trotz des repressiven Klimas in breiten Teilen der Gesellschaft eine Ablehnung des religiösen Moralismus und Konservativismus der Herrschenden, ließ die politische Opposition im Untergrund weiterleben und führte immer wieder zu kleinen und großen Protestwellen, deren Ausgangspunkt nicht selten die Universitäten waren. Insbesondere die Präsidentschaft Ahmadineschads seit 2005, während der zwischenzeitliche Liberalisierungstendenzen des Regimes ausgebremst wurden, mündete nach dessen Wahlbetrug im Jahre 2009 in der Grünen Bewegung, die auch in der westlichen Welt viel Beachtung fand. Diese Bewegung war massenhaft und teilweise militant, blieb aber vor allem urban und mittelständisch geprägt. Sie stellte vor allem eine Auseinandersetzung innerhalb des Regimes dar und war mehrheitlich nicht gegen die Herrschaft der „Islamischen Republik“ als solche gerichtet. Eine proletarische und ländlich geprägte Massenbasis hatten dagegen die erbitterten Revolten gegen Preissteigerungen, die mit der sich verschärfenden Krise im Land seit 2016 aufflammten und in blutigen Konfrontationen im November 2019 mündeten, bei denen 1500 Demonstrant*innen von der Staatsgewalt ermordet wurden. In diesen Kämpfen bildete sich bereits eine revolutionäre Tendenz der Proteste heraus, die keine Reformen mehr einfordert, sondern den Sturz des Regimes zum Ziel hat.
In diese Entwicklung muss auch der aktuelle Aufstand seit September 2022 eingeordnet werden, dessen herausragende Stärke eine Bündelung der verschiedenen iranischen Widerstandsherde ist, die in zurückliegenden Kämpfen meist ausgeblieben ist: Angeführt von der Frauenbewegung kämpfen Arbeiter*innen, verarmte Landbevölkerung, urbane Milieus, queere Menschen und Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Provinzen für Demokratisierung, gleiche Rechte und soziale Sicherheit und gegen die repressive, patriarchale und neoliberale Klassenherrschaft der klerikalen Diktatur.
Weder Mullah noch Schah
Ihr tatsächliches revolutionäres Potenzial schöpft die durch die Ermordung Jina Aminis ausgelöste iranische Revolte aus dieser Breite und Unversöhnlichkeit und scheint auch durch die mörderische Repression des Regimes nicht mehr aufzuhalten zu sein. Eine weitere Zuspitzung der Konfrontation mit dem Staat ist absehbar, ein Sturz der Mullah-Diktatur im Bereich des Möglichen. Wie schon 1979 wird sich also die Frage stellen, welchen Weg die Bevölkerungen des Irans nach einer erfolgreichen Revolution einschlagen werden.
Die Ausrichtung der aktuellen Bewegung auf der Straße ist zweifelsohne feministisch, proletarisch, säkular und antistaatlich – mitunter sogar (unausgesprochen) sozialistisch. Wer schlussendlich die politische Führung dieser Bewegung einnimmt, bleibt jedoch offen. Die revolutionäre Linke im Iran kann auf eine lange und kampferprobte Geschichte zurückblicken. Sie ist zwar präsent, aber klein und läuft Gefahr, von bürgerlichen oder sogar monarchistischen Kräften überrollt zu werden, wenn die Karten neu gemischt werden. Der Kampf um vollendete Befreiung im Iran wird also unweigerlich weitergehen. Insbesondere die Forderung nach Sanktionen und anderer Einmischung durch die imperialistischen Staaten des Westens, die von bestenfalls gut meinenden liberalen Kreisen hierzulande zur Unterstützung der Bewegung immer wieder erhoben wird, erweist sich dabei als Fallstrick. Linke Stimmen aus dem Iran betonen immer wieder, dass die westliche Einflussnahme im Mittleren Osten grundlegender Teil des Problems ist. Die Abhängigkeit von westlichen Interessen, die unter der Schah-Herrschaft auf dem Höhepunkt gewesen ist und auch bei der Machtübernahme Khomeinis eine Rolle gespielt hat, hat die gegenwärtige politische Konstellation erst mit hervorgebracht. Jede Instrumentalisierung der Aufstände durch den Westen ist zudem Futter für die Verleumdung des Widerstands durch das Regime als von außen gelenkte Sabotage. Letztendlich schwächt sie die Aufstandsbewegung in einer Gesellschaft, in dem der westliche Imperialismus aus Erfahrung zu Recht verhasst ist. Nicht zuletzt bei der Frage nach der Zukunftsperspektive für den Iran würde sich eine Infiltrierung der iranischen Opposition mit den Interessen des Westens als schädlich für alle Emanzipationsbestrebungen der Straße erweisen. Die Forderungen, für die gerade Millionen Iraner*innen ihr Leben riskieren, sind nur umfassend durchsetzbar, wenn die Region endlich ökonomisch, politisch und kulturell unabhängig wird. Internationalismus bedeutet für uns, an der Seite der kämpfenden Leute auf der Straße und unterdrückten Massen überall in der Welt zu stehen, ihre Forderungen stark zu machen und ihnen den Rücken zu stärken – falsche Freunde, bürgerliche Regierungen und Institutionen stehen dem nur im Wege.
Die Bezugspunkte unserer Solidarität sind der große historische und aktuelle Erfahrungsschatz der revolutionären Linken im Iran und dem Mittleren Ostens. Sie sind das Fundament, auf dem Arbeiter*innen- und Geschlechterbefreiung, Unabhängigkeit und demokratische Selbstverwaltung von unten vorangetrieben werden muss. In Ostkurdistan existierte in den Revolutionsjahren eine kurzlebige, aber unvergessene Räterepublik, die von kommunistischen Guerillagruppen initiiert wurde. Warum sollte diese Erinnerung nicht zukünftig wieder zum Leben erweckt werden? Iranische Arbeiter*innen waren immer wieder in der Lage, unter Bedingungen der mörderischen Diktatur mit Streiks das Land lahmzulegen. Wer will ihnen die Fähigkeit absprechen, die Produktion in ihre eigenen Hände zu nehmen und zu verwalten, ohne dass der von ihnen geschaffene Reichtum von dem Klerus, der iranischen Bourgeoisie oder dem Kapital der imperialistischen Hegemonialstaaten abgepresst wird? Die Frauenbewegung hatte den Mut, zum offenen Angriff auf die jahrzehntelange Unterdrückung durch die Klerikalherrschaft überzugehen und wird nicht zurück weichen, bis dasselbe Recht auf ein würdiges und selbstbestimmtes Leben für alle Geschlechter verwirklicht ist. Wer soll ihr eine Führungsrolle bei der zukünftigen Ausgestaltung der iranischen Gesellschaft nehmen?
„Frauen, Leben, Freiheit!“ – die Parole, unter der der derzeitige Aufstandszyklus begonnen hat, ist eine Parole der Kurdischen Befreiungsbewegung. Im Nordosten Syriens, einem Nachbarland des Irans, hat diese Bewegung vieles von dem, was in den Straßen des Irans derzeit noch gefordert wird, längst angefangen, zu verwirklichen. Die theoretische Grundlage der Rojava-Revolution ist der von dem in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan entwickelte Demokratische Konföderalismus, der als staatenloses Selbstverwaltungsmodell ausdrücklich als friedliche Alternative zu den folgenschweren Nationalstaatsbildungen im multiethnischen Mittleren Osten durch die Kolonialmächte seit Ende des 1. Weltkrieges entwickelt worden ist. Von der lebendigen Praxis in Rojava zu lernen, sich dieses Modell anzueignen und für die iranischen Verhältnisse fruchtbar zu machen, stellt eine Chance dar, der Vielfältigkeit der Aufstandsbewegung und der iranischen Gesellschaft in einem revolutionären Transformationsprozess gerecht zu werden. Ostkurdistan ist seit jeher eine der Keimzellen des Widerstands gegen autoritäre Herrscher im Iran, Kurd*innen sind auch im Iran eine unterdrückte Minderheit. Jina Amini war Kurdin. Möge ihr Gerechtigkeit widerfahren und ihr gewaltsamer Tod wenigstens dazu beitragen, die revolutionäre und emanzipatorische Energie aus den Bergen Kurdistans im Iran und dem ganzen Mittleren Osten zu verbreiten, um das Ende jeder Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt für alle Gedemütigten und Geknechteten greifbar zu machen.
Nieder mit Patriarchat, Diktatur, Klassenherrschaft und Imperialismus!
Nieder mit der „Islamischen Republik“ – für die soziale Revolution im Mittleren Osten!