„Konstantin war ein Held“

Seine Familie, seine Kampfgefährten in Rojava, seine Freund*innen und weitere hunderte Menschen gedachten in Kiel dem gefallenen Internationalisten Andok Cotkar (Konstantin).

Wir dokumentieren einen Bericht von ANF deutsch.

Am Sonntag nahmen mehr als 500 Menschen in Kiel Abschied von Andok Cotkar (Konstantin). Konstantin hatte sich im September 2016 den Volksverteidigungseinheiten von Rojava (YPG) angeschlossen, um Teil des Kampfes gegen den sogenannten Islamischen Staat zu werden. In den Regionen Minbic, Cerablus und Raqqa kämpfte er Seite an Seite mit den Kräften der YPG und wurde dabei mehrfach verletzt. Andok Cotkar wurde nur 24 Jahre alt. Er kam 10. Februar 1995 zur Welt und verstarb am 16. Oktober 2019 in Serêkaniyê im Zuge des Angriffskriegs des NATO-Mitglieds Türkei durch einen Luftangriff.

„Wenn es keine Menschen gäbe, die sich wie Konstantin und all die anderen Gefallenen dem Faschismus und der Barbarei entgegenstellen, wäre die Welt kein lebenswerter Ort mehr“, mit diesen Worten eröffnete Anja Flach die Gedenkveranstaltung am Sonntag und ergänzte: „Rojava ist eine Hoffnung für uns alle auf der Welt, deshalb ist es so wichtig, diese Hoffnung zu beschützen.“ Und so erhob sich der gesamte Saal, um in einer Gedenkminute den gefallenen Freiheitskämpfer*innen ihre Ehre zu erweisen und sich ihrer zu erinnern.

Für die Organisation der Familien der Gefallenen sprach die Kovorsitzende Şenge Kahraman und wendete sich hierbei insbesondere den Eltern Ute und Thomas sowie Konstantins jüngerem Bruder Benjamin zu; sie ehre Andok, seinen Kampf und alle Gefallenen: „Wir, die Mütter, egal wo wir leben, verstehen gegenseitig zu gut den Schmerz. Wir sind so stolz auf unsere Kinder. Unsere Herzen tragen so viel Schmerz, wir verlieren jeden Tag unsere Kinder, es fallen jede Woche so viele unserer Kinder und wir denken jeden Tag an sie, denn ihr Weg war der richtige und wir werden sie immer in Ehren halten.“ Sie sagte, dass die Familien der Gefallenen sich durch die Worte des kurdischen Philosophen und Wegbereiters Abdullah Öcalan als Teil aller Kämpfe für Freiheit weltweit verstünden. „Wenn die Herrschenden zusammenhalten, so halten wir Unterdrückten zusammen. Deshalb sind so viele Internationalist*innen in Kurdistan gefallen und das ist der Grund, warum wir heute zusammen sind“, mit diesen Worten unterstrich sie ihre Verbundenheit zu Konstantins Familie und den Wert internationalistischer Kämpfe und Kämpfer*innen aus kurdischer Perspektive.

Im Anschluss an ihre Ansprache wurde ein Film über das Leben von Konstantin gezeigt, der allen einen persönlichen Einblick in die verschiedenen Zeiten seines Lebens gewährte.

Mazlum Abdi von der Generalkommandatur der Demokratischen Kräfte Syrien (QSD) teilte mit einem persönlichen Brief an die Familie von Andok sowohl den Schmerz wie auch die Erinnerung an ihren Sohn und Bruder: „Ich glaube, dass ein Mensch und Kämpfer wie Andok in einer Familie aufgewachsen ist, in der ihm viele humanistische und demokratische Werte vermittelt wurden. Dafür möchte ich Ihnen meinen Respekt und meine Achtung aussprechen. Sie können sich sicher sein, dass das Andenken an Heval Andok, genauso wie das an alle anderen Frauen und Männer unseres Landes, die im Kampf gefallen sind, in den Seelen aller Kurd*innen weiter leben wird und uns in unserem Kampf für die Menschlichkeit und Demokratie Kraft geben wird.“

Aufgrund der medizinischen Behandlung einer Verletzung, die er im Kampf gegen den IS erlitten hatte, war Konstantin im September 2017 für eine Weile wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Sein Vater Thomas erinnert sich an die knappen Worte, mit denen der Arzt auf seine Geschichte reagierte: „Konstantin ist ein Held.“

Nur wenige Monate später, im März 2018, machte sich Andok mit dem Satz „Daesh (IS) ist noch nicht besiegt“ erneut auf den Weg nach Kurdistan, in den Şengal, um dort in den Reihen der ezidischen Selbstverteidigungseinheiten YBŞ die sichere Rückkehr der vor dem Genozid 2014 geflohenen Menschen zu unterstützen. Als das türkische Militär am 9. Oktober 2019 anfing Rojava zu überfallen, hielt Konstantin abermals nichts zurück. Er eilte seinen Freund*innen zu Hilfe und nahm als Freiwilliger wieder seinen Platz in den Reihen der YPG ein. Als sie die Evakuierung eines Feldlazaretts vor einem Massaker an den Verwundeten, Frauen und Kinder durch dschihadistische Banden schützten, wurden Konstantin und seine Genoss*innen durch einen türkischen Luftangriff getötet. So beschreibt der Vater Thomas die Geschichte seines Sohnes und sagt: „Bei seinem Engagement blieb er, unser Konstantin, aufrecht und zuverlässig, eben konstant.“ Als Eltern seien sie stolz auf ihre Kinder und wie diese ihren eigenen Weg im Leben gefunden haben. Sie seien sicher, Konstantin hatte sein Glück in der Gemeinschaft in Rojava gefunden.

Auch seine Mutter Ute teilte in einer berührenden Rede viele Eindrücke aus dem Leben Konstantins  mit allen Anwesenden. Ihre Worte zu Beginn, „Ich wünschte, er wäre jetzt bei uns“, waren ergreifend und ließen ihren Verlust und Schmerz spüren. Ihren Sohn, dem sie den Namen ihres geliebten Großvaters gegeben hatte, beschrieb sie als Mensch der wenigen, aber sehr ausgewählten Worte. Er sei sehr belesen gewesen und habe bereits in seiner Schulzeit gerne intellektuelle Dispute geführt. Er sei sehr mutig gewesen und begab sich auch mal in unkomfortable Situationen. Wenn er etwas als richtig erkannt habe, dann sei er dabei geblieben, auch wenn ihm dies Nachteile eingebracht hätte. Er war bescheiden und machte sich nichts aus unnützem Eigentum. Mit der Ungeduld seiner Umgebung hatte er stets einen geduldigen Umgang gefunden. Mit liebevollen Erinnerungen an die Kindheit und Jugend von Konstantin erweckte sie ihren Sohn im Raum zum Leben. Sie gedachte ebenfalls den Kämpfer*innen, die mit ihrem Sohn gemeinsam gefallen sind und teilte den Schmerz ihrer Familien: „Den Angehörigen der Hevals, die mit unserem Andok gemeinsam gefallen sind, senden wir unser herzliches Beileid. Wir wissen, wie sehr es weh tut.“

Nach einer musikalischen Einlage von Ozan Cömert richtete Saime, eine Vertreterin des Kurdischen Frauenrats Jiyana Jin aus Kiel, ihr Wort an die Anwesenden: „Şehîd Andok war keiner, der den Grausamkeiten des IS zuschauen konnte und folgte deshalb seinem Herzen.“  Auch die Internationalistische Kommune in Rojava schickte eine Grußbotschaft für die Gedenkveranstaltung: „Sich den Verteidigungseinheiten in Rojava anzuschließen war nicht nur ein Zeichen seiner Hilfsbereitschaft, sondern auch seines gelebten Internationalismus. Er hat diese Gesellschaft mit seinem Leben verteidigt.“

Michaela Hoffmann hat ihre Tochter ebenfalls in der Verteidigung Rojavas verloren. Şehîd Avaşin Tekoşin Güneş, Ivana Hoffman, fiel am 7. März 2015 in Til Temir (Nordsyrien) durch einen Angriff des IS. Michaela Hoffmann drückte Konstantins Familie ihr tief empfundenes Beileid aus und fügte hinzu: „Ich kenne diesen Schmerz, ein Kind zu verlieren, aber unsere Kinder sind hier. Dafür leben wir weiter und unsere Kinder leben in unseren Herzen weiter.“

Für seine internationalistischen Genoss*innen in der YPG war Andok ein sehr treuer und wertvoller Freund. Ein finnischer YPG-Internationalist, der mit Konstantin in Raqqa gekämpft hat, schickte eine Botschaft und sagte über ihn: „Er war von Beruf eigentlich ein Bauer, aber weil er wusste, wofür er da war und weil es ihm so wichtig war, erlernte er alle Fertigkeiten für den Kampf. Das ist so unglaublich für mich! Ich fühle nichts als Respekt und Ehre für Andok, Konstantin.“ Drei weitere YPG-Internationalisten, die Seite an Seite mit Andok gegen den IS gekämpft haben, waren selbst zur Gedenkveranstaltung nach Kiel angereist. Claudio Locatelli aus Italien sowie Josh Walker und Tan Modsly aus England empfanden es als Ehre, anwesend zu sein und sprechen zu können, aber auch als ihre Verantwortung, die Erinnerung an die, die nicht mehr leben, zu erhalten. „Ich kann so viele Menschen auf der ganzen Welt nennen. Schaut wie viele heute her gekommen sind. Alle hier in diesem Saal hat euer Sohn berührt und Stolz gemacht. Als ich ihn kennen lernte, musste ich einfach lächeln“, sagte Claudio Locatelli über Konstantin und teilt seine Erinnerung einer Nacht aus Raqqa, in der die Einheit vom IS angegriffen wurde. „Als Kämpfer war seine wichtigste Eigenschaft seine Tapferkeit und sein Mut im Kampf. Er hat zurück geschossen. In dieser Nacht hat er unser Leben beschützt, und das mit seinem leichten Maschinengewehr.“ Auch nachdem Andok verletzt worden war, habe er gescherzt. „Diese Eigenschaft, schwierigen Situationen mit einem Lächeln zu begegnen, ist so wichtig. Sie machte unser Bataillon zu einem besseren Bataillon. Die Gefallenen sterben nicht, denn sie leben in dem Wert der Aufopferung für die folgende Generation. Şehîd namirin heval Andok!“, so Locatelli.

Auch Josh Walker und Tan Modsly belegten Konstantin mit den Worten, dass dieser stark, mutig und geschickt war und auch etwas von einem verrückten Vogel gehabt habe. Er sei einfach gewesen, immer strikt voraus gegangen und habe keine Angst gezeigt. Er hatte getan, was getan werden musste. Er war ein großartiger Mensch und sie seien stolz, ihn kennengelernt haben zu dürfen. Sie werden sich bis an ihr Lebensende an ihn erinnern und dankten dafür, mit ihm einen der besten Freunde bekommen zu haben.

In einem Grußwort richtete auch die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) aus der Türkei der Familie ihr Beileid aus und gedachte in der Person von Andok allen in Kurdistan Gefallenen.

Die feministische Kampagne „Gemeinsam kämpfen! Für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ widmete das Lied „Der Pfahl“ Andok Cotkar und allen Revolutionär*innen, die im Kampf für die Freiheit ihr Leben gegeben haben. Sie schlossen ihre Rede mit den Sätzen: „Unsere Herzen schmerzen, aber sie brennen auch. Lichterloh. Weil Sarah, Micha und Konstantin uns inspirieren und ihre Kraft nicht stirbt – im Gegenteil: Sie wächst und breitet sich in unseren Herzen aus. Und wir werden ihre Gedanken, ihre Ideen und ihre Entschlossenheit in uns tragen und weiter geben.“

Einen gemeinsamen Abschluss fand die Gedenkveranstaltung für Andok Cotkar mit dem Lied „Bella Ciao“, in das alle im Saal einstimmten. Konstantin hatte dieses Lied in Kurdistan für seine Freunde gesungen. Mit den Worten „Der Krieg in Rojava ist ein Krieg um die Menschlichkeit. Ich möchte meine Aufgaben in diesem Kampf übernehmen und Heval werden, um für die Hoffnung zu kämpfen, die Rojava der Welt gegeben hat“, hatte er sein Versprechen bis zum Ende für die Freiheit einzustehen, gegeben.

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