[Artikel von ANFNews] Die Eltern des durch einen Bombenangriff des türkischen Staates getöteten Konstantin Gedig haben bei der Stadt Kiel eine Einwohnerfrage nach den Konsequenzen der Stadt aus dem völkerrechtswidrigen Krieg und der Tötung einer ihrer Bürger gestellt.
Die Stadt Kiel hat durch ihre Partnerstädte Samsun und Hatay gute Verbindungen in die Türkei. Sie brüstet sich mit dem „Abbau von Vorurteilen auf beiden Seiten“ durch die enge Verpartnerung mit den türkischen Provinzhauptstädten. Während die Stadtregierung die Beziehungen zu den AKP- bzw. CHP-regierten Städten pflegt, zeigen viele Menschen ihre Solidarität mit dem Widerstand gegen den türkischen Faschismus. Konstantin Gedig (Andok Cotkar) war einer von ihnen. Er beließ es nicht bei Appellen und Protesten, sondern schloss sich dem Kampf der Volksverteidigungseinheiten YPG gegen den „Islamischen Staat“ (IS) und den hinter ihm stehenden türkischen Faschismus im Jahr 2016 an. Am 16. Oktober 2019 fiel Konstantin im Kampf gegen die türkische Invasion in Serêkaniyê (Ras al-Ain) durch einen Luftangriff.
Kieler Regierung ignoriert offensichtliche Völkerrechtswidrigkeit des türkischen Vorgehens
Die türkische Invasion ist völkerrechtswidrig, das erklärten hohe Vertreter der Bundesregierung wie Außenminister Heiko Maas (SPD) bereits im Oktober 2019: Er hatte das türkische Vorgehen als „nicht im Einklang mit dem Völkerrecht“ bezeichnet und gegenüber „Berlin direkt“ erklärt: „Wenn es keine Grundlage im Völkerrecht gibt für eine solche Invasion, dann ist sie auch nicht im Einklang mit dem Völkerrecht.“ Diese Sichtweise wurde von den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestags untermauert. In einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags hieß es: „Mangels Vorliegen einer Selbstverteidigungslage lässt sich in der Errichtung einer türkischen „Sicherheitszone“ in Nordsyrien auch keine völkerrechtlich zulässige Selbstverteidigungshandlung sehen. Selbst für den (hypothetischen) Fall, dass eine Selbstverteidigungslage bestünde, lassen Kommentierungen in den Völkerrechtsblogs keinen Zweifel an der Unangemessenheit der türkischen Militäroperation.“
Eltern fragen nach Verhalten der Stadt Kiel
Vor diesem Hintergrund fragten die Eltern von Konstantin Gedig, Ute Ruß und Thomas Gedig, nach dem Verhalten der Stadt Kiel angesichts der Städtepartnerschaft mit Samsun und Hatay. Die Eltern fragten, ob „der völkerrechtswidrige Angriff des türkischen Staates auf Rojava mit der Politik und der Administration der türkischen Partnerstädte Kiels“ erörtert wurde und insbesondere zur Positionierung der Stadt Kiel zu den Städtepartnerschaften „in Kenntnis des fortgesetzten Völkerrechtsbruchs durch den türkischen Staat und der Ermordung eines Kieler Bürgers durch die Türkei?“
Erklärung des Stadtpräsidenten ist politische Bankrotterklärung
Die Antwort der Kieler Regierung auf die Frage der Eltern des YPG-Gefallenen Konstantin Gedig kommt einer politischen Bankrotterklärung gleich. Trotz Beileidsbekundung sah sich der Stadtpräsident Hans-Werner Tovar nicht im Stande, zu auch nur einer der Fragen Stellung zu beziehen. Obwohl die Völkerrechtswidrigkeit des Angriffs und insbesondere der Bombardierungen als gesichert gelten kann, sah sich das Kieler Rathaus nicht in der Lage, dazu selbst Stellung zu beziehen. Auch die Ermordung von Konstantin Gedig war nicht einmal Thema bei Gesprächen zwischen den Stadtregierungen.
Kommunale Beziehungen wichtiger als Kriegsverbrechen
Das räumte der Stadtpräsident offen ein und sprach von der Wichtigkeit der Beziehungen zwischen den Städten „zum Abbau von gegenseitigen Vorurteilen“. Ein Schlag ins Gesicht, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Stadt Samsun von der für die Invasion verantwortlichen türkischen Regimepartei AKP regiert wird. Die Eltern kritisierten dieses Verhalten scharf: „Wenn sich die Stadt Kiel zu Gute halten will, wie sie selbst sagt, sich ‚nachhaltig für die Völkerverständigung‘ (Top 12.7, Protokoll der Ratsversammlung v. 15.03.2018) einzusetzen, dann muss sie gegenüber den türkischen Partnerschaftsstädten auch ihr Entsetzen über den Völkerrechtsbruch, die Kriegsverbrechen in Efrîn und in dem seit dem 9.10.2019 annektierten Landstreifen Rojavas sowie die Tötung des Kieler Bürgers Konstantin Gedig kundtun. Verständigung heißt auch Unrecht benennen, nicht Totschweigen.“
„Die türkische Regierung missachtet essentielle Werte der Demokratie und Freiheit“
Die Antwort der Eltern von Konstantin Gedig drückt die tiefe Enttäuschung über die Haltung der Stadt Kiel aus. Die Eltern appellieren: „Es wird Zeit, dass sich die Ratsversammlung und der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Kiel endlich mit der Tötung des Kieler Bürgers Konstantin Gedig durch die Türkei befassen und Stellung beziehen. Kiel hat mit dem türkischen Staat über dessen kommunale Vertretungen Partnerschafts- bzw. Schwesternschaftsverträge geschlossen. Die türkische Regierung missachtet seit Jahren essentielle Werte der Demokratie und Freiheit. Die Türkei hat erklärt, dass sie die syrischen Kräfte, die das Terror-Regime des Islamischen Staates bekämpfen, als Terroristen ansieht und töten will. Sie besetzte im Januar 2018 völkerrechtswidrig große Teile der Region Efrîn in Nordwestsyrien und begann am 9. Oktober 2019 die völkerrechtswidrige Invasion von Rojava.
Konstantin bei Evakuierung eines Krankenhauses getötet
Dabei tötete die türkische Regierung unseren Sohn Konstantin in Serêkaniyê während eines Bombenangriffs, als er die Evakuierung eines Hospitals absicherte vor den anrückenden dschihadistisch-türkischen Verbündeten. Konstantin war seinen Kameraden zu Hilfe geeilt, mit denen er gemeinsam Raqqa befreit hatte. Unser Schmerz über den Verlust unseres Sohnes ist unbeschreiblich.
„Ausweichen der Bundesregierung zum Völkerrechtsbruch macht uns fassungslos“
Es macht uns aber auch fassungslos, wie sich Deutschland um eine adäquate Antwort drückt auf den fortwährenden Völkerrechtsbruch der Türkei in Syrien. Die Willfährigkeit Deutschlands sowie die umfassende Unterstützung türkischer Kriegsaktivitäten und türkischen Unrechts ist im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos.“